Simmert eine Brühe auf allerkleinster Flamme dahin, so dass sie nur ganz schwach blubbert, sprechen französische Köche davon, dass sie „lächelt“: „Le bouillon sourit“. Entstanden ist
diese Niedergarmethode am Hofe des französischen Herrschers Ludwig XIV. Man erzählt sich, dass der König gelangweist durch die Gespräche seiner Hofgesellschaft und von einem unbestimmten Heißhunger nach bäuerlich-deftigen Genüssen erfasst, von der überreich gedeckten, porzellan- und glasglitzernden Tafel aufstand und sich heimlich in die Schloßküche schlich, wo in einer großen gusseisernen Pfanne gerade Speck, Knoblauch und Selleriesamen angebraten wurden. Die fieberhaft arbeitenden Knechte und Mägde bemerkten den König wegen des vielen Rauchs nicht. Majestät beliebten nun lustvollaus den verführerisch dahinbrodelnden Töpfen zu kosten. Wohl wissend, dass er damit gegen das strenge Hofzeremoniell verstieß, genoss er es nachgerade, mit der nackten Hand eine Kelle zu formen und auf diese Weise eine lauwarme Sauce nach der anderen zu schlürfen. Schließlich aber erkannte ihn sein alter blinder Diener Jean-Baptiste am unverkennbar majestätischen Gang und am Klappern der mit Diamenten verzierten Schuhschnallen. Mit einem Aufschrei ehrfürchtigsten Entsetzens fiel das Küchenpersonal auf die Knie und verharrte regungslos. Der König kostete noch dies und das, nagte ein Hähnchenbein ab, schleckte Kuchenteig, entfernte sich schließlich lautlos aus der Küche. Immer noch wagte keiner den Kopf zu heben.
Die versammelte Küchenbrigade hielt zwei Stunden in kniender Haltung aus, niemand tat auch nur einen Mucks.
Schließlich erhob sich der diensthabende maitre de cuisine vorsichtig, um den entstandenen Schaden abzuschätzen. So ziemlich alles war verdorben und verbrannt ,verkocht und verkohlt, der brave Küchenmeister zerraufte sich wehklagend die Haare.  Auf einem der Herde jedoch stand ein Topf mit Brühe und eingelegtem Rindfleisch, der auf spärlichster Flamme dahinköchelte.  Der zerknirschte Maitre wollte den Topf schon wegschütten, probierte aber doch noch und entdeckte, dass die eingekochte Brühe köstlich, ja nachgerade königlich schmeckte. Das Simmern, das Köcheln und Brodeln auf kleiner Flamme, das schwelende Wallen und das schonende Schmoren – mit einem Wort:
das Niedrigtemperaturgaren war erfunden.

aus Jörg Maurer: Den letzten Gang serviert der Tod